Mit ERASMUS+ zu Griechenlands archäologischen Ausgrabungsstätten
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Mit Behinderung an Ausgrabungen in Griechenland teilnehmen? Klemens Singer berichtet von seinem Griechenlandaufenthalt, den er mit dem ERASMUS+ Blended Intensive Program (BIP) virtuell und in Person realisieren konnte.
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privat/ DAAD
In meinem Bachelorstudium der Vor- und Frühgeschichte sind mehrtägige Exkursionen obligatorischer Bestandteil. Für 2024 wurde eine Schulungsgrabung in Griechenland geplant, die neben den praktischen Einheiten vor Ort auch ein vorgeschaltetes virtuelles Seminar umfasste und als BIP mit dem Titel Archaeological lnvestigations at the prehistoric settlement of Paradimi – Ausgrabung einer neolithischen Tellsiedlung – angeboten wurde. Ich interessiere mich sehr für das Neolithikum und Griechenland und habe daher hin- und herüberlegt, ob und wie ich es stemmen bzw. teilnehmen kann. Damit meine Mobilität gewährleistet werden kann, brauche ich Assistenz. Erst als die ERASMUS-Förderung und vor allem die zusätzliche Förderung aufgrund meiner Behinderung abgesteckt war, war klar, dass sich das Vorhaben für mich finanziell realisieren lässt. Ich danke dem International Office für die Unterstützung und v.a. der NA DAAD, der meinen Antrag auf Realkostenförderung durchaus kurzfristig bewilligt hat.
Vorbereitungen und logistische Herausforderungen
Neben der Finanzierung gab es in den Monaten vor der Abfahrt für meine Assistenz und mich vieles vorzuplanen. Es mussten einige Szenarien durchgespielt und entsprechend Ausrüstung beschafft werden. Auch waren mehrere Sitzungen sowohl bei meinem Rehatechniker als auch bei meinem Orthopädietechniker nötig, da meine Versorgung angepasst und auf meine lange Abwesenheit vorbereitet werden musste. Auch ihnen, ihrer Ideen und Mithilfe gebührt mein Dank.
Anreise nach Griechenland
Meine physische Reise begann am Donnerstag, den 16.05.2024, da ich nur mit meiner Assistenz in einem eigenen Wagen fuhr, denn ich benötigte mehr Utensilien aufgrund meiner Behinderung. Vor Ort waren die Regensburger Gruppe und auch wir in einem Hotel untergebracht. Der Verantwortliche auf griechischer Seite hatte für mich ein Zimmer mit geräumigem Bad organisieren können. Das Bad war zwar nicht rollstuhlgerecht, aber ich konnte mithilfe meiner Assistenz, meinen Schwimmschienen und rutschfesten Schwimmschuhen die Duschzelle gut nutzen.
Erste Grabungserfahrungen
Auf der Grabung integrierte mich der Organisator des BIP Periklis Crysafakoglou nach einem Austausch darüber, was ich mitmachen kann, in das Grabungsteam. Auch die anderen Studenten und Grabungsmitarbeiter akzeptierten mich und meine Behinderung. An den ersten beiden Grabungstagen betätigte ich mich beim Sieben der ausgehobenen Erde. Wir durchsuchten sie nach Keramiken, ab und zu auch nach Knochen, Feuersteinfragmenten und Zähnen. Recht schnell fand ich mich zurecht, es herrschte eine angenehme Stimmung. Mit den anderen Studierenden am Sieb – Griechen, Französinnen, Kroaten und Polen –konnte ich mich gut verständigen. Wir tauschten auch kulturelles Wissen aus. Sie reichten mir die Krücken, wenn ich sie benötigte, und nahmen Rücksicht, wenn bei mir etwas langsamer ging, da ich v.a. auf meine Stabilität achten musste.
Am dritten Tag war ich zum Waschen der Scherben in einer ehemaligen Schule in Paradimi eingeteilt. Hier arbeiteten auch Dozenten und ein IT-Spezialist des Instituts für Vorgeschichte in Komotini mit. Wie in den Tagen zuvor, konnte ich mich hier auch recht lange auf den Beinen halten, da ich mich an den Waschtisch lehnen konnte. Meine Assistenz übernahm das Erneuern meiner Wasserwanne, da diese zu schwer war und ich wegen des unwegsamen Geländes Gefahr lief, zu stürzen. Die Dozenten erklärten uns Details zur Geschichte der Gegend und zur Ausgrabung. Insgesamt genoss ich den fachlichen und interkulturellen Austausch. Sowohl die Dozenten und Mitarbeiter als auch Studierende aus dem Gastgeberland und die Studierenden aus den anderen Ländern akzeptierten mich, wie ich bin, halfen, wo nötig, und integrierten mich problemlos.
Kulturelles Rahmenprogramm
Da für den Donnerstag Gewitter angekündigt war, wurde von den Griechen ein Besuch des Lehrstuhls und des örtlichen Museums geplant. Die Kuratorin hatte bereits an einem der Vortage über die Verbindung zwischen Mythen und Geschichte mit uns gesprochen. Bei ihrem Vortrag im Museum über Mythos und Historizität konnte ich Vorwissen zu griechischen Sagen einbringen. Da das Museum weitgehend barrierefrei war, konnte ich mich gut zurechtfinden.
Am Freitag war ich beim Graben dran. Zusammen mit einer anderen Teilnehmerin grub ich mit Spachtel und Besen eine Steinringmauer aus. So eine Ausgrabungsstätte ist logischerweise nicht behindertengerecht. Langes Stehen ist für mich eine Herausforderung, ebenso langes Gehen in unwegsamem Gelände. Die Sorge, dass durch meine langgestreckten Beine im Sitzen der Befund gestört werden könnte, erwies sich aber als unbegründet. Insgesamt fühlte ich mich sehr wohl auf der Grabungsfläche, die Arbeitsatmosphäre war sehr angenehm und ich war auch hier wieder sehr gut integriert. Für den letzten Tag stand ein Besuch der Ausgrabungsstätte Philippoi und des zugehörigen Museums an. Ich konnte dank einiger Pausen alles selber begehen.
Fazit – Eine bereichernde Erfahrung
Zusammenfassend kann ich sagen, dass dieses BIP eine sehr schöne Erfahrung war, die ich nur weiterempfehlen kann. Ich habe viel gelernt, auch über mich selbst. Ich habe jetzt auf jeden Fall mehr Sicherheit gewonnen, dass ich trotz meiner Behinderung mit dem richtigen Equipment und der richtigen Assistenz sehr vieles meistern kann. Mir war zwar vorher klar, dass auch Schwerbehinderte auf Reisen sind, aber dass ich auch so eine Unternehmung auf mich nehmen kann, hat mich dann doch sehr positiv überrascht. Diese Erfahrung hat mich sehr gestärkt!
Allerdings gilt speziell für Menschen mit Behinderung: nicht jeder hätte das mitmachen können. Zum einen habe ich einen einzigartigen Orthopädietechniker, der auch Paralympioniken betreut und somit auch mal unkonventionelle Lösungen einbaut, zum anderen habe ich eine Assistenz, die mich gut kennt, bereits reiseerfahren ist und schon mehrmals in Griechenland war. Der dritte Punkt ist, dass ich gut auftrainiert wurde und die Behinderung adäquat in meinen Alltag eingebaut habe. Das heißt zwar nicht, dass ich alles machen kann (alleine schon gleich gar nicht), aber bei Tätigkeiten, die ich nicht machen kann (z. B. Tragen von schweren oder unhandlichen Gegenständen, An- und Ausziehen, Duschen, lange Strecken ablaufen oder schnell etwas besorgen), hilft meine Assistenz.
Wie mein Bericht schon zeigt, hatte ich vor Ort viel Kontakt mit den Einheimischen und anderen Austauschstudenten in Griechenland. Hinzufügen möchte ich noch, dass die Hin und Rückreise selbst – mit den nötigen Zwischenstopps in vier Ländern –, die Landschaften, durch die wir fuhren und die vielen positive Erfahrungen mit den Menschen, die wir dort – wie immer kur z – trafen, ein unvergessliches Erlebnis war. Die griechischen Gastgeber hatten außerdem am Mittwochabend ein Musikfestival veranstaltet, zu dem wir herzlich eingeladen waren. An einem Tag gab es außerdem ein gemeinsames Mittagessen in einer Taverna unweit des Hotels, wo wir auch Einblicke in andere Esskulturen gewinnen durften.
Wenn ich von der größten Herausforderung sprechen soll, so fällt mir neben den Reisevorbereitungen nur der Zustand der Straßen und die mangelnde Beschilderung auf Teilen der Strecke ein, die zu Irrfahrten und Umwegen führten. Das verblasst aber vor den schönen Erlebnissen und der einzigartigen Erfahrung der Ausgrabung einer Ringsteinmauer auf dem Touµßanapaörwri zusammen mit einer Regensburger Kommilitonin.