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Auslandssemester in Tartu, Estland 2024 an der Estonian University of Life Sciences

Hannah von Mulert studiert Klimaschutz- und Klimaanpassung B.Sc. an der TH Bingen und hat sich für ein Auslandssemester (31.01.2024 – 07.06.2024) in Estland entschieden. Wie das genau aussah, können Sie hier lesen.

Motivation und Entscheidung für ein Auslandssemester

Erfahrungsbericht Tartu Estland 2024 Titelbild

Die Entscheidung tatsächlich an einem Auslandssemester teilzunehmen, fiel nicht wirklich in einem konkreten Moment. Eine Kommilitonin und ich haben immer wieder darüber geredet, wie großartig es wäre, ein Semester im Ausland zu verbringen, nachdem es einer unserer Professoren einmal erwähnte. Dann haben wir überlegt, welche Länder in Frage kommen und plötzlich schrieben wir unsere Bewerbungen für ein Erasmus+ Stipendium für ein Semester an der Estonian University of Life Sciences in Tartu. Da wir beide zusätzlich zur Erasmus+- Förderung die Möglichkeit hatten, ein Social Top Up zu beantragen, stand uns auch finanziell nichts mehr im Weg.

Für mich waren die größten Motivationen für diese Entscheidung, mein Englisch zu verbessern und meine Komfortzone verlassen zu müssen. Da mir die Auswahl der möglichen Kurse in Tartu am besten gefallen hat und ich mir überlegt hatte, dass ich nicht in ein Land möchte, in dem ich schon mal war, beziehungsweise in meinem Leben auf jeden Fall einmal hinreisen werde, habe ich mich für Estland entschieden. Als ich mich dann näher über Estland informierte, fielen mir viele weitere Vorzüge des Landes ins Auge, wie zum Beispiel die schöne Natur und die fortgeschrittene Digitalisierung.

Bewerbung, Organisation und Anreise

Der Bewerbungsprozess lief recht problemlos ab, jedoch sollte man sich darauf einstellen, relativ spät die Zusagen für alles zu erhalten. Die wirkliche Zusage, dass ich an der Uni in Estland studieren darf und auch im Studierendenwohnheim dort untergebracht werde, bekam ich erst ein paar Wochen vor der Abreise. Das hat zum Beispiel den Prozess, eine Person für die Untermiete in der Zeit zu finden etwas verkompliziert.

Für die Anreise kann ich empfehlen, dass man sich, ein bis zwei Tage Zeit lässt, um anzukommen. Bei mir war das aufgrund von Klausuren an der Heimatuni nicht möglich, sodass ich direkt am darauffolgenden Tag der Ankunft mit der Orientierungswoche gestartet bin, was ziemlich stressig und ein bisschen überfordernd war.

Das Frühjahrssemester beginnt in Estland im Februar und endet Mitte Juni. Da an meiner Uni die meisten Klausuren im Februar geschrieben werden, habe ich viele davon nicht mitschreiben können und muss diese jetzt bald nachholen. Auch die fehlende vorlesungsfreie Zeit zwischen den Semestern macht alles etwas stressiger, dafür hat man nach dem Semester im Ausland eine umso längere Zeit ohne Vorlesungen.

Kurse und Universität

Erfahrungsbericht Tartu Estland 2024 Stadt

Die Kurse an sich waren ähnlich aufgebaut wie in Deutschland. Die Vorlesungen der Lehrenden wurden meist durch PowerPoint-Präsentationen begleitet und von den Studierenden werden auch ein paar Vorträge und eine Klausur am Ende des Semesters erwartet. Ich habe die Kurse Animal Ecophysiology, Biological Oceanography, Estonian Language and Culture, Pollutants in the Environment und Aquatic Ecotoxicology and Fish Physiology belegt und bin sehr zufrieden mit meiner Wahl. Das Leistungspensum und auch der Zeitaufwand für die einzelnen Kurse waren sehr angemessen und man war deshalb nicht nur mit Lernen beschäftigt, sondern hatte auch viel Zeit Dinge zu unternehmen und das Land zu entdecken.

Orientierungswoche und Kontakte

Wie schon gesagt, gab es eine Orientierungswoche. Teil davon waren viele Präsentationen, unter anderem von unserer Ansprechpartnerin vor Ort, aber auch von Studierenden, zum Beispiel von Buddys und einer ausländischen Studierenden, die schon länger vor Ort ist. Uns wurde viel über Estland und Tartu selbst erzählt. Neben Geschichte und Kultur, wie man sich am besten fortbewegt, was es an organisatorischen Dingen zu erledigen gibt, auch viele mögliche Aktivitäten, Lieblingsrestaurants & -bars und vieles mehr. An der Orientierungswoche teilzunehmen kann ich nur empfehlen, da man dort viele sehr wichtige Informationen und Inspirationen für den Aufenthalt sammeln kann. Neben einer Führung durch Universität und Bibliothek, war auch eine Stadtführung durch Tartu Teil des Einstiegsprogramms. Am letzten Tag der Einführungswoche waren wir mit allen Erasmus+- Teilnehmenden gemeinsam Schlittschuhlaufen am Rathausplatz. Eine schöne Erfahrung und, wie auch die anderen Aktivitäten der Orientierungswoche, zum Kontakte knüpfen perfekt. Während des weiteren Verlaufs des Auslandssemesters habe ich gute Unterstützung sowohl vom International Office der TH Bingen als auch von den Verantwortlichen der estnischen Uni erhalten, die sich um alle Fragen und Probleme gekümmert haben.

Während der Vorlesungen hatte ich keinen Kontakt zu heimischen Regelstudierenden, denn in nahezu allen meiner Kurse waren nur Erasmus- Studierende. Man hatte trotzdem die Möglichkeit, bei anderen Aktivitäten, wie zum Beispiel abends in Bars, Esten kennenzulernen. In der Kennenlernphase zwischen uns Erasmus-Studierenden, war ich sehr überrascht, dass so viele Deutsche dabei waren. Ein sehr großer Teil meiner Kommiliton*innen kam entweder aus Deutschland oder Frankreich. Außerdem habe ich da gemerkt, wie klein die Welt ist, da mehrere Teilnehmer*innen im Nachbarort meines Heimatortes studieren. Man hat während des Auslandssemesters viel Zeit zusammen verbracht und sich gut kennengelernt, doch da immer viel in größeren Gruppen unternommen wurde, konnte man sich auch ohne schlechtes Gewissen Zeit für sich nehmen.

Englisch / Sprachkenntnisse

Die von mir belegten Kurse wurden alle in Englisch unterrichtet. Ich hatte mich vor dem Auslandssemester gefragt, wie schwierig es wird, alle Fächer auf Englisch gelehrt zu bekommen, jedoch hat die Fremdsprache überraschenderweise überhaupt kein Problem dargestellt. Ich würde auf jedem Fall sagen, dass sich mein Englisch in der Zeit in Estland deutlich verbessert hat. Nicht nur der Wortschatz hat sich erweitert, sondern auch die Hemmungen eine fremde Sprache zu sprechen sind weggefallen, da es in der Zeit einfach Normalität war. Jedoch hat sich das Sprachniveau nicht nur durch die Teilnahme an den Kursen verbessert, sondern vor allem auch durch die Interaktion mit Kommiliton*innen.

Wohnen im Studierendenwohnheim

Während meiner Zeit in Tartu habe ich, wie auch alle anderen Erasmus-Studierenden, im Studierendenwohnheim gelebt. Das 15-stöckige Gebäude war in achter und vierer WGs aufgeteilt. In einer vierer WG hat man sich dann zu zweit ein Zimmer geteilt, das mit Kleiderschränken, Betten, Regalen und Schreibtischen ausgestattet war. Küche, Toilette und Dusche teilte man sich dann mit einem anderen Zweierzimmer.

Erfahrungsbericht Tartu Estland 2024 Zimmer

Es bestand jedoch die Möglichkeit, sich zwei Betten zu buchen, also ein Zimmer für sich allein. Genau das habe ich auch gemacht und zu meinem Glück, habe ich dann zusammen mit meiner Kommilitonin aus Deutschland, die diese Möglichkeit ebenfalls ergriffen hat, eine vierer WG bezogen. So habe ich dann anstatt 142€ im Monat für ein Bett, 284€ im Monat für ein eigenes Zimmer gezahlt, was für die Unterkunft ein fairer Preis war. Hinzu kommen dann 200€ bzw. 400€ Kaution. Im Wohnheim selbst ist eine Rezeption, die 24 Stunden am Tag besetzt ist, sowie die Möglichkeit Wäsche zu waschen und zu trocknen. Sehr praktisch war die Tatsache, dass das Wohnheim direkt auf der anderen Straßenseite der Universität ist, sodass man einen sehr kurzen Fußweg zu den Vorlesungen und auch zur Bibliothek hatte. Direkt vor dem Wohnheim befinden sich zwei Bushaltestellen, sodass man sehr gut mit der Stadt vernetzt war. In Laufnähe des Wohnheims befinden sich zwei Supermärkte für den täglichen Bedarf.

Mobilität vor Ort

In der Stadt konnte man mit dem Bus alles Nötige zu einem günstigen Preis erreichen, da eine Fahrkarte für drei Monate nur circa 30€ kostet. Fahrräder kann man sich ebenfalls sehr leicht via App mieten. Zwei Fahrradständer mit solchen verfügbaren Fahrrädern befinden sich direkt neben dem Wohnheim und neben der Universität. Ich kann außerdem auf jeden Fall empfehlen, sich eine App herunterzuladen. Damit kann man sich Autos und E-Scooter sehr einfach zum selbst fahren mieten und außerdem auch jemanden, der einen von A nach B bringt sowie Essen bestellen. Für circa 10 – 15€ kann man mit dem Bus in ungefähr zweieinhalb Stunden in die Hauptstadt Tallinn fahren, was wir alle viel genutzt haben. Da Estland ein relativ dünn besiedeltes Land ist, lassen die öffentlichen Verkehrsmittel etwas zu wünschen übrig, wenn es darum geht, außerhalb der zwei großen Städte in ländlichere Gebiete zu fahren.

Erfahrungsbericht Tartu Estland 2024 Landschaft

Wir sind oft in die vielen unterschiedlichen Nationalparks zum Wandern usw. gefahren, was ich wirklich empfehlen kann, da die Natur dort und auch die Wanderwege wirklich wunderschön sind. Wenn man dann den Preis für das gemietete Auto durch mehrere Leute teilt, ist das auch eine wirklich gute und vor allem flexible und unkomplizierte Möglichkeit. Während meines Aufenthalts war ich in den Nationalparks Karula, Lahemaa und mehrmals in Soomaa, da es mir dort so gut gefallen hat.

Freizeitaktivitäten mit dem Erasmus Student Network (ESN)

Erfahrungsbericht Tartu Estland 2024 Landschaft 02

Während des Semesters wurden mehrere freiwillige Trips von ESN angeboten. Ich habe unter anderem an einer Tour durch die drei Hauptstädte der baltischen Länder teilgenommen. Dabei habe ich jeweils eine Nacht in Tallinn, Riga und Vilnius verbracht. Ein toller Kurztrip, um die Städte im Schnelldurchlauf einmal kennenzulernen. Außerdem wurde noch ein fünftägiger Trip ins finnische Lappland angeboten. Der Trip ist wirklich einzigartig, also sollte man zugreifen, wenn man die Chance dazu bekommt. Eine unbeschreiblich schöne Reise, bei der ich unter anderem Husky-Schlitten fahren und Rentiere streicheln durfte, eine Schneeschuhwanderung gemacht und Nordlichter gesehen habe.

Finanzierung und Lebensunterhaltungskosten

Die Lebenshaltungskosten waren unerwarteterweise sehr ähnlich wie in Deutschland. Ich habe eigentlich gedacht, in Estland zu leben sei günstiger als in Deutschland, jedoch ist mir sehr schnell aufgefallen, dass dem nicht so ist. Lebensmittelkosten sind vom Preis her sehr ähnlich, außer vegetarische/vegane Ersatzprodukte, welche, ähnlich wie Alkohol, sehr viel teurer als in Deutschland sind. Auch bei Freizeitaktivitäten hat man meist keinen Unterschied gemerkt. Gebühren an der Gasthochschule wie zum Beispiel für Studienunterlagen gab es keine. Meine Ausgaben in den paar Monaten in Estland lassen sich nicht mit meinen normalen Ausgaben in Deutschland vergleichen, da ich sehr viel mehr unternommen und auch einfach nicht so sehr auf Geld geachtet habe, weil ich mir am Anfang vorgenommen hatte, andere Dinge in den Vordergrund zu stellen. Da ich zusätzlich zu der Erasmus+-Förderung von 490€ im Monat noch ein Social Top Up für Studierende aus nicht-akademischem Elternhaus von 250€ im Monat erhalten habe, wurde mir finanziell vieles erleichtert.

Fazit und Empfehlung

Mein Fazit lautet: das Auslandssemester zu machen war eine der besten Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen habe. Ich habe mich so sehr weiterentwickelt und so viele positive Erfahrungen gesammelt und unersetzliche Erinnerungen geschaffen und ich würde auf jeden Fall jedem empfehlen, der die Möglichkeit hat, diese einzigartige Chance zu ergreifen. Ich würde es jedes Mal wieder machen.

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