Anne: Leben & Arbeiten am Baltischen Meer in Estland

Tere koos! Ich bin Anne, 26 Jahre alt und studiere Management im Master an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Für ein halbes Jahr (Start September 2023), ziehe ich für mein Erasmus+ Praktikum bei der Deutsch-Baltischen Handelskammer, in die estnische Hauptstadt Tallinn. Tallinn hat es mir bereits bei meinem ersten, zugegeben kurzen und etwas verregneten Besuch 2018 angetan, weshalb ich unbedingt zurückkommen wollte. Hier nehme ich euch mit bei meinen Planungen und gebe einen Einblick in meinen Praktikumsalltag und das Leben in Tallinn.
Einblick in den Arbeitsalltag in Tallinn
Kaum zu glauben, aber wahr: Mein Praktikum ist fast schon zur Hälfte rum, höchste Zeit also, aus dem Arbeitsalltag bei der Deutsch-Baltischen Handelskammer zu berichten. Zur Arbeit geht es für uns jeden Morgen mit dem Bus in die Altstadt, wir haben das Glück, direkt an der Stadtmauer und somit direkt am Eingangstor zur Altstadt zu arbeiten. Wie jeden Morgen starten wir mit einer gemeinsamen Besprechungsrunde mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den Tag: Was steht gerade an? Wo kann man unterstützen? Welche Veranstaltungen kommen? Gerade zu Beginn interessant, um erstmal einen Einblick zu bekommen, an was die Kolleginnen und Kollegen arbeiten.
Mit dem ersten Kaffee geht es dann erstmal an den Computer, E-Mails checken und Skype-Nachrichten lesen. Immer auf der Agenda steht die Betreuung der Social-Media-Kanäle, Übersetzungsarbeiten, die Pflege der Website oder der monatliche Newsletter. Als PR-Praktikantin darf ich viele Veranstaltungen vor Ort begleiten, sei es der Tag der offenen Tür, verschiedene Diskussionsrunden rund um E-Mobilität oder Maschinenbau, Delegationstreffen oder Seminare. Lustig ist es natürlich, wenn man dann in einer estnischen Veranstaltung sitzt und bis auf das Wort „Saksamaa“, also „Deutschland“, eine Stunde einfach nur Bahnhof versteht. Ansporn genug, doch mal ein paar Brocken Estnisch zu lernen.
Was stand bis dato noch im Kalender? Gleich zu Beginn meines Praktikums gab es die Saisoneröffnung hier im estnischen Büro, eine Rundfahrt auf dem Segelschiff durch die Tallinner Bucht. Wir duften die Kolleginnen und Kollegen zu Unternehmensbesuchen nach Pärnu begleiten und einen Einblick hinter die Kulissen verschiedener Unternehmen werfen. Das Jahreshighlight konnte ich auch mitnehmen: Das Tallinner Oktoberfest. Ganz im bayerischen Stil wurde mit rund 2.000 Gästen in der größten Arena Estlands gefeiert. Natürlich durfte auch original bayerisches Bier und Essen nicht fehlen, die Band ist extra aus München angereist. Und trotzdem kamen auch die estnischen Einflüsse nicht zu kurz, Lieder gab es auf beiden Sprachen. Letzte Woche hatte ich dann die Möglichkeit, den estnischen Klimaminister beim Business Lunch live zu erleben. Ein spannender Austausch über die derzeitige politische und wirtschaftliche Lage in Estland und ein Einblick in das politische System.
Da wir jetzt mit großen Schritten auf den Jahresendspurt zugehen, wird es natürlich auch hier veranstaltungstechnisch etwas ruhiger. Nichtsdestotrotz steht noch ein Business Lunch und ein Unternehmensbesuch an, bevor das Jahr dann mit der traditionellen Weihnachtsfeier ausklingt.
Erste Arbeitstage im Praktikum
Mein erstes Wochenende in Tallinn ist bei spätsommerlichen Temperaturen viel zu schnell vergangen und hat sich noch ein bisschen wie Urlaub angefühlt. Doch noch bevor ich mich daran hätte gewöhnen können, stand auch schon mein erster Arbeitstag an. Die kommenden Monate werde ich also die Deutsch-Baltische Handelskammer in Tallinn unterstützen, als Praktikantin im PR- und Öffentlichkeitsbereich. Doch was macht die Auslandshandelskammer - kurz AHK - eigentlich? Die AHK in Estland, Lettland und Litauen vertritt, berät und betreut deutsche Unternehmen im Baltikum und unterstützen beim Aufbau von Auslandsgeschäften und -beziehungen. Sie bietet also Marktberatungen an, unterstützt bei der Gründung von Niederlassungen oder bei der Personalvermittlung.
Nach einer Woche Einarbeitung durch meine Vorgängerin und einem Schnelldurchlauf durch alle anfallenden Aufgaben ging es dann auch direkt los, die Saisoneröffnung stand vor der Tür. Gemeinsam mit Mitgliedern der AHK ging es auf einen Segeltörn durch die Tallinner Bucht, Networking stand also auf dem Plan. Als PR-Praktikantin durfte ich das Event auf den Social-Media-Kanälen begleiten. Auch die nächste große Veranstaltung lässt nicht lange auf sich warten: Mitte Oktober steht hier in Tallinn das große Oktoberfest an. Wie genau ein Arbeitstag im Detail abläuft, werde ich euch dann später berichten.
Ganz „alleine“ bin ich übrigens nicht, wir sind zu dritt im estnischen Büro. In den Standorten in Riga und Vilnius gibt es dann auch jeweils drei Praktikant*innen. Das Beste: Teil des Programms der AHK ist ein gegenseitiger Besuch, jeweils geplant von dem Team vor Ort. Das bedeutet, Anfang Oktober werden uns die Praktikant*innen aus Vilnius und Riga in Tallinn besuchen.
Vorbereitung auf das Erasmus+ Praktikum
Packen und Ankunft
Ein Blick in Tallins Wikipediaartikel verrät: Im kühlsten Monat Januar schwankt die Temperatur zwischen -3 bis -8 Grad Celsius. Das bedeutet im Umkehrschluss, man muss beim Packen auf jeden Fall an einige Pullis, Jacken, Socken, Schals, Jacken und Mützen denken. Mitnehmen wollte ich also viel, aber wie sollte das Ganze in zwei Koffer passen? Ein paar Tage vor meinem Abflug habe ich mir also Gedanken gemacht, wie man strategisch am besten packen könnte. Am Ende habe ich mich dazu entschieden, Kleidungsstücke nach ihrer „Zwiebellook-Tauglichkeit“ auszusuchen. Am Flughafen war ich dann genau 600 Gramm unter dem Höchstgewicht. Von Frankfurt aus fliegt man in rund 2,5 Stunden nach Tallinn, wobei ich einen kurzen Zwischenstopp in Riga hatte. Eine Zeitverschiebung gibt es übrigens auch, Estland ist Deutschland eine Stunde voraus.
In Tallinn angekommen habe ich mich direkt mit dem Bus auf den Weg zu meinem Wohnheim gemacht, Tickets für den ÖPNV gibt es am Automaten am Flughafen oder über die App, Tickets für eine Stunde auch direkt in den Bussen. Mit meinem Handy konnte ich auch ganz einfach meine Wohnungs- und Zimmertüre öffnen. Ein nützlicher Tipp: Wenn ihr nach Estland kommen solltet, spart aus Platz- und Gewichtsgründen auf keinen Fall an Drogerieprodukten. Bei meinem ersten Supermarktbesuch war ich verdutz, wie viel diese hier kosten. Für eine Bodylotion von Nivea zahlt man stolze 8,49 Euro, für ein Haarshampoo sogar 8,99 Euro – und es waren wohlgemerkt keine Maxi-Packungen... Ansonsten liegt das Preisniveau in etwa so hoch wie in Deutschland, wobei Milch- und Fleischprodukte etwas günstiger sind.
Meine ersten Tage in Tallinn habe ich dann bei gutem Wetter überwiegend am Meer verbracht, bin durch die Altstadt gelaufen und habe mich mit meinem zukünftigen Mit-Praktikanten getroffen. Fast verzweifelt bin ich zwischendurch an der estnischen Sprache, besonders beim Einkaufen. Leider kann man sich aus dem Geschriebenen wenig bis gar nichts ableiten. Estnisch gehört zu den finnisch-ugrischen Sprachen, ist also mit dem Finnischen verwandet und gilt als schwer zu lernen. In den nächsten Tagen werde ich mich aber trotzdem mal an die estnischen Basics wagen. Eine Übersetzungsapp, am besten mit Liveübersetzung, ist ein Muss auf dem Handy. Viele Estinnen und Esten sprechen zudem Russisch, etwa ein Viertel gehört der russischen Minderheit an. Ich hatte Glück, an meinem ersten Wochenende eine Volkstradition im Ostseeraum miterleben zu können. Einmal im Jahr, in der sogenannten „Nacht der alten Feuer“, werden an den Stränden große Feuer errichtet. Die Feuer sollen an frühere Leuchtfeuer erinnern und dienen heute dazu, positive Gedanken und Botschaften auf das Meer hinauszuschicken. Begleitet werden die Feuer von Konzerten und traditionellen Liedern.

Anne/DAAD
Vorbereitung
Drei Monate vor Beginn des Praktikums habe ich Kontakt mit dem International Office meiner Universität aufgenommen. Bei meiner Universität sollte man spätestens zwei Monate vor Beginn alle Bewerbungsunterlagen für eine Erasmus+ Förderung einreichen. Für das Ausfüllen sollte man etwas Zeit einplanen, insbesondere für das Learning-Agreement, hierfür müsst ihr Unterschriften eurer Universität und eurer Praktikumsstelle einholen. Bei mir war da gerade Urlaubszeit und es hat dementsprechend etwas länger gedauert, bis ich alle Unterschriften zusammen hatte.

Anne/DAAD
Relativ neu ist die Erweiterung der „Zusatzförderung für Studierende mit geringeren Chancen im Erasmus-Programm“, auf die ich eher zufällig gestoßen bin. Hinter dieser etwas sperrigen Formulierung steckt eine Zusatzförderung, deren Zielgruppen 2022 erweitert wurden. Neben Studierenden mit Kindern, einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung können seitdem auch erwerbstätige Studierende und Studierende aus einem nicht-akademischen Elternhaus einen monatlichen Zuschlag von 250 Euro auf die Fördersätze erhalten. Da letzteres auf mich zutrifft, habe ich einen Antrag auf diese Zusatzförderung stellen können. Mit der Förderung soll die Chancengerechtigkeit erhöht werden. Mehr Informationen hierzu findet ihr auf der Website der NA DAAD. Sind alle Unterlagen eingereicht, muss man noch auf die Ausstellung des Grant Agreements warten, dieses unterzeichnen und per Post einreichen.
Wohnungssuche in Tallinn
Nachdem ich Anfang des Jahres für ein halbes Jahr eine Wohnung in Berlin gesucht habe, war ich eigentlich auf alles eingestellt, was die Wohnungssuche in Tallinn betrifft. Von meiner Praktikumsstelle habe ich eine Liste mit Anlaufstellen bekommen, zudem besteht die Möglichkeit, sich je nach Verfügbarkeit für eines der Wohnheime der Universitäten und Hochschulen zu bewerben. Hier gilt es aber zu beachten: In Estland teilt man sich, ähnlich wie in den USA, ein Zimmer mit einer anderen Person. Die Zimmer sind zwar günstig (alle so um die 200-240 Euro), kamen deshalb aber für mich nicht in Frage. Ich habe dann ein privates Wohnheim gefunden, das zwar etwas teurer war, aber dafür werde ich mein eigenes Zimmer haben. Die Zimmer kann man einfach online buchen, auch der Vertrag wird online unterschrieben. Vor einigen Tagen habe ich eine E-Mail von meinem Wohnheim mit dem Zugangsdaten zum Zimmer bekommen. Alles läuft über hier das Smartphone, „normale“ Schlüssel gibt es keine mehr. Wohl ein erster Vorgeschmack auf den digitalen Vorreiter Estland.
Motivation
Wenn mich heute jemand nach meinem Highlight während meines Bachelorstudiums fragen, würde ich, ohne groß nachzudenken direkt antworten: Mein Auslandssemester in Schweden. Zu Beginn meines Masterstudiums kam alles anders als gedacht – Stichwort Corona – und ich entschied mich zunächst gegen ein weiteres Auslandssemester, zu unsicher die Aussichten. Jetzt möchte ich doch noch die Möglichkeit nutzen, während meines Studiums ins Ausland zu gehen. Die Bewerbungsfristen für die Auslandssemester waren da schon rum, also habe ich eine Alternative gesucht – und gefunden: Ein Praktikum im Ausland.
So kann man nicht nur Auslandserfahrung sammeln, sondern auch praktische und in die Arbeitswelt eines anderen Landes eintauchen. Tallinn stand ganz oben auf meiner Wunschliste. Keine 20 Stunden habe ich bis jetzt dort verbracht und trotzdem hat es mir die Stadt in dieser kurzen Zeit angetan, genauso wie Estland.
Gerade aus Deutschland blickt man ja etwas neidisch auf Estland, das uns in Sachen e-Government, Start-Up-Szene oder Digitalisierung einiges voraus ist. Wusstet ihr zum Beispiel, dass der Zugang zum Internet in Estland ein Grundrecht ist? Über die Praktikumsbörse des International Office meiner Universität habe ich dann das Praktikum an der Deutsch-Baltischen Handelskammer im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gefunden – es lohnt sich also, hier immer mal wieder auf solchen Seiten der Universitäten vorbeizuschauen. Nachdem ich mich Ende November 2022 beworben habe, wurde ich zu einem einstündigen Vorstellungsgespräch eingeladen. Mitte Dezember 2022 kam dann die Zusage und ich habe meinen Praktikumsvertrag unterschrieben.

Anne/DAAD