Anne: Leben & Arbeiten am Baltischen Meer in Estland
Tere koos! Ich bin Anne, 26 Jahre alt und studiere Management im Master an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Für ein halbes Jahr (Start September 2023), ziehe ich für mein Erasmus+ Praktikum bei der Deutsch-Baltischen Handelskammer, in die estnische Hauptstadt Tallinn. Tallinn hat es mir bereits bei meinem ersten, zugegeben kurzen und etwas verregneten Besuch 2018 angetan, weshalb ich unbedingt zurückkommen wollte. Hier nehme ich euch mit bei meinen Planungen und gebe einen Einblick in meinen Praktikumsalltag und das Leben in Tallinn.
Ein halbes Jahr Estland
Als ich vor einigen Tagen meine Sachen in Tallinn für den Rückflug nach Deutschland gepackt habe, habe ich eins bewusst erst zum Schluss eingepackt: Meine Estland-Karte. In meinem Zimmer hatte ich eine Landkarte aufgehängt und jeden Ort, den ich während des halben Jahres besucht hatte, mit einem roten Punkt markiert. Als es dann an der Zeit war, auch die Karte einzupacken, wurde mir erst einmal bewusst, wie viele Punkte und Erinnerungen sich in dieser Zeit angesammelt hatten.
Seit ein paar Tagen bin ich wieder zurück in Deutschland, mein letzte Arbeitswoche ist wie im Flug vergangen und unsere nachfolgenden Praktikant*innen sind eingearbeitet. Zeit für ein kleines Resümee. Als ich im sonnigen August in Tallinn gelandet bin, habe ich nicht erahnt, wie sehr mir Land und Leute in den folgenden sechs Monaten ans Herz wachsen werden. Ich durfte während meiner Zeit viele großartige Menschen kennenlernen und mich sowohl beruflich und als auch persönlich weiterentwickeln. Ich habe viel über die Zusammenarbeit im internationalen Kontext gelernt, durfte die Vorzüge eines Digitalstaates hautnah erleben und in eine andere Geschäftsmentalität eintauchen. Ich habe viele berufliche Kontakte knüpfen können, durfte den Wirtschafts- und den Klimaminister Estlands kennenlernen und habe für einen Artikel einen Einblick in die Finanzwelt Tallinns bekommen.
Auch wenn mir der Abschied schwergefallen ist, eins steht fest: Keine Sorge Estland, ich komme zurück! Das Plakat am Tallinner Flughafen hat also recht: Estonia stays with you forever.
Auslandssemester vs. Auslandspraktikum
Mein Praktikum war Estland ist nicht mein erster Auslandsaufenthalt im Laufe meines Studiums. Im Rahmen des Erasmus+ Programms habe ich während meines Bachelorstudiums ein Semester in Schweden, genauer gesagt in Umea, verbracht. Zwei Erfahrungen, die mich persönlich und beruflichen bereichert haben und trotzdem nicht unterschiedlicher hätten sein können. Würden mich heute Studierende, fragen, ob ich ihnen ein Auslandssemester oder Auslandspraktikum empfehlen würde, ich würde wahrscheinliche einen Spruch à la „Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen“ bringen. Was ich aber weiß: In der jeweiligen Lebensphase, in der ich mich zu dem Zeitpunkt befunden habe, war die Option die genau die richtige für mich.
In meinem Auslandssemester in Schweden habe ich die unterschiedlichsten Menschen kennengelernt, viele Dinge vor und nach den Vorlesungen unternommen, kurz gesagt: Ich habe das Studierendenleben voll ausgekostet. In meiner damaligen Lebensphase Anfang 20 genau das richtige. Ich war mitten in meinem Bachelorstudium, wusste noch nicht genau, wohin es für mich später beruflich gehen soll. Ich wollte erstmal neue Erfahrungen und Inspirationen, auch für meinen eigenen Werdegang, sammeln. Die Zeit hat mir geholfen, mich selbst, vor allem persönlich, weiterzuentwickeln und offen für neue Situationen und Menschen zu sein. Nichtsdestotrotz habe ich in Schweden in einer Art „Erasmus-Bubble“ gelebt, der Blick über den Tellerrand war da manchmal gar nicht so einfach. Das hat natürlich seine Vorteile, aber mit dem normalen Alltag in dem Land manchmal nicht allzu viel zu tun.
Mein Praktikum in Estland hat mir auf viel intensivere Art und Weise die Möglichkeit gegeben, in den Alltag des Landes einzutauchen. Ich habe wortwörtlich ein halbes Jahr in Tallinn gelebt, hatte wie die meisten Estinnen und Esten einen normalen (Arbeits-) Alltag und habe so alle Facetten des Landes, auch die außerhalb der Universitätswände, kennengelernt. Auch durch meine Kolleginnen und Kollegen, allesamt aus Estland, konnte ich einen viel umfassenderen Einblick in die Gewohnheiten und Gepflogenheiten der Menschen bekommen. Und natürlich hat mich mein Praktikum auch in meinem beruflichen Werdegang bereichert. Insbesondere in der internationalen Zusammenarbeit konnte ich viele neue Erfahrungen sammeln und die Arbeitsweise und Geschäftsgepflogenheiten Estlands kennenlernen.
Mein Fazit: Wer das „Erasmus-Leben“ mit all seinen Facetten genießen möchte, derjenige oder diejenige sollte sich am besten für ein Auslandssemester bewerben. Wenn man aber richtig in Land, Kultur und den Lebensalltag der Menschen eintauchen möchte und auch schon einen ungefähren Plan hat, wohin es für ihn oder sie beruflich gehen könnte, sollte unbedingt ein Praktikum im Ausland in Erwägung ziehen.
Trip nach Narva & Estlands Nationalfeiertag
Trip nach Narva
Ende Januar hat es uns in die mit knapp 60.000 Einwohnerinnen und Einwohnern drittgrößte Stadt Estlands verschlagen. Nach gut zweieinhalb Stunden Zugfahrt erreicht man die Grenzstadt. Die Stadt gilt als Zentrum der russischsprechenden Minderheit in Estland (rund 95% der Bewohnerinnen und Bewohner) und grenzt direkt an das russische Iwangorod. Auch wenn die Stadt auf den ersten Bilk etwas trist und grau erscheint, lohnt sich ein Abstecher aufgrund der Lage allemal.
Die Hermannsfeste in Narva steht genau gegenüber der Festung Iwangorod – Besucher*innen können denen auf der gegenüberliegenden Seite zuwinken und sich gegenseitig beäugeln. In Narva trifft die Europäische Union, die NATO und Estland auf Russland, ganz nach dem Motto der Stadt: „Europe starts here“. Es war ein surreales Gefühl, insbesondere in der derzeitigen weltpolitischen Lage, auf die andere Seite des Flusses zu blicken und die Menschen zu beobachten. Und natürlich hat man sich die Frage gestellt: Was denken die Menschen auf der anderen Seite in genau diesem Moment wohl über uns? Gerade für mich, die in einem Europa ohne Grenzen aufgewachsen ist, war der Anblick der Grenzabfertigung und der Grenzbrücke auch eine eindrucksvolle Erfahrung. Eine Woche nach unserem Besuch wurde die Brücke dann für den Grenzübertritt mit dem Auto oder Bus gesperrt, nur noch zu Fuß kann man dort die Grenze derzeit passieren.
Mu isamaa, mu õnn ja rõõm: Estlands Nationalfeiertag
Kurz vor meiner Rückkehr nach Deutschland stand noch ein besonderer Tag an: Der estnische Nationalfeiertag am 24. Februar. Und eines lässt sich zusammenfassend sagen: Er wird gebührend zelebriert. Am 24. Februar 1918 erklärte Estland seine Unabhängigkeit von Russland.
Auftakt des Tages ist die Flaggenzeremonie zum Sonnenaufgang. Die ganze Stadt pilgert also auf den Domberg, genauer gesagt zum „langen Hermann“, einem mittelalterlichen Wachturm direkt am estnischen Parlament. Hier wird übrigens jeden Morgen bei Sonnenaufgang die Flagge zur Nationalhymne gehisst, am Nationalfeiertag ist das Programm etwas umfangreicher mit Ansprachen und weiteren Liedern die gemeinsam gesungen werden. Um die Mittagszeit herum gab es dann die Parade der Streitkräfte in der Tallinner Innenstadt, ein doch etwas ungewohnter Anblick für Menschen aus Deutschland. Was bei anderen Faszination ausgelöst hat, hat bei mir dann doch eher für Gänsehaut und ein mulmiges Gefühl gesorgt. Nichtsdestotrotz eine interessante Erfahrung, aber der Wiederholungsbedarf auf meiner Seite bleibt dann doch eher gering.
Natürlich war die ganze Stadt in blau, schwarz und weiß geschmückt, überall gab es verschiedene Aktionen und auch in den Cafés wurde der Tag zelebriert. Den Präsidentenempfang konnte man live im Fernsehen verfolgen. Mein Fazit: Der Tag war geprägt von einem gesunden Patriotismus, der aufgrund der bewegten Geschichte des Lands und der immer wieder wechselnden Fremdherrschaft mehr als nachvollziehbar ist. Alles in allem ein runder Abschluss für meine sechs Monate in Estland.
Tallinn – Riga – Vilnius
Estland, Lettland und Litauen werden ja schnell mal als „das Baltikum“ zusammengeworfen. Diese Verallgemeinerung wird den drei Ländern aber nicht gerecht: Jedes Land hat seine Mentalität, so viel lässt sich nach einem Besuch der drei Hauptstädte sagen. Und auch die drei Hauptstädte haben eigentlich nicht viel gemein. Riga gehört bestimmt zu den bekannteren Städten und ist mit seinen vielen Gebäuden im Jugendstiel besonders für Architekturfans ein Highlight. An vielen Ecken erinnert die Stadt ein bisschen an Paris und bietet imposante Fassaden. Mein Highlight persönliches Highlight: Vilnius, eine Stadt, an die ich zunächst keine Erwartungen hatte und die mich auf allen Ebenen positiv überrascht hat. Litauens Hauptstadt hat eine Vielzahl an hippen Cafés und Restaurants zu bieten, die Litauerinnen und Litauer haben auf mich auch einen offeneren und zugänglicheren Eindruck als die Menschen in Estland gemacht. Nicht zuletzt werden sie laut unserem Stadtführer deshalb auch als die „Latinos unter den Balten“ bezeichnet. Besonderes Highlight der Stadt: Die „unabhängige“ Republik Užupis, die vor einigen Jahren aus einem Aprilscherz heraus „gegründet“ wurde, heute Künstlerinnen und Künstler anlockt und so zum Szeneviertel der Stadt wurde. Es gibt eine eigene Währung, Briefmarken und man kann sich einen Einreisestempel für seinen Reisepass abholen. Užupis hat seine eigene Verfassung und für jede Jahreszeit gibt es eine eigene Flagge. Vilnius ist für mich auf jeden Fall die hippste und trendigste der drei Hauptstädte und auf jeden Fall mein Geheimtipp. Und was macht Tallinn aus? Die Mischung: Auf der einen Seite hat man eine wunderschöne mittelalterliche Altstadt voller Geschichte, auf der anderen Seite das Kreativzentrum Telliskivi, in dem sich die junge Bevölkerung der Stadt tummelt. Und dann ist da natürlich auch noch das Banken- und Geschäftsviertel, das mit seiner Start-Up-Szene einen Hauch Großstadt nach Tallinn bringt. Kurzum gesagt sind die drei Städte so unterschiedlich, dass sie auf jeden Fall alle eine Reise wert sind.
Freizeit in Tallinn
Das besondere an einem Auslandspraktikum? Es verbindet beides: Arbeitsalltag und das „klassische“ Leben eines Austauschstudierenden. Auch wenn wir eine 40-Stunden-Woche haben, lassen wir natürlich den Spaß nicht außen vor. Und was macht man als Studentin oder Student in Tallinn so? Ganz oben auf der Liste steht tatsächlich Karaoke. Ich muss sagen, bevor ich in Estland war, hat Karaoke sicher nicht zu meinen Hobbies gehört und mein Gesangstalent hält sich auch in Grenzen. Aber die Estinnen und Esten lieben trotz der nordischen Zurückhaltung Karaoke, nicht umsonst nennt sich Estland auch „die singende Nation“. Alle fünf Jahre gibt es in Tallinn das sogenannte Liederfest, bei dem 2019 über 30.000 Sängerinnen und Sänger gemeinsam als Chor aufgetreten sind, eine der größten Veranstaltungen für Laienchöre weltweit.
Eine weitere Tradition, die sich bei uns eingeschlichen hat: mittwochs ist in unserer Lieblingsbar Bier Pong angesagt. Eine super Gelegenheit, mit den Austauschstudierenden in Kontakt zu kommen. Wer sich fragt, wie er oder sie am besten Kontakte knüpfen kann, sollte auch mal schauen, ob es in der entsprechenden Stadt eine ESN-Gruppe (European Student Network) gibt, darüber hinaus bieten viele Universitäten auch eigene Gruppen für internationale Studierende an. Da ich aber an keiner Universität in Tallinn eingeschrieben bin, ist ESN eine super Alternative. Neben Events vor Ort werden sogar Reisen, beispielsweise nach Lappland oder in die anderen baltischen Staaten, angeboten.
Und noch eine Routine haben wir in unserer Freizeit eingeführt: Nach der Arbeit geht es zweimal die Woche ins Fitnessstudio, genauer gesagt machen wir gemeinsam ein Zirkeltraining – auf Estnisch. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, sogar das geht, wenn man praktisch kein Estnisch spricht. Eines habe ich nach vier Monaten Fitnessstudio aber auf jeden Fall gelernt: Wie man auf estnisch runterzählt (kolm - kaks - üks), das werde ich auch so schnell nicht mehr vergessen.
Weihnachtszeit in Estland
Nachdem ich zuhause in Deutschland in das neue Jahr gestartet bin, will ich meine Weihnachtszeit in Estland hier nochmal Revue passieren lassen. Und eines lässt sich festhalten: Wir hatten das schönste Winterwetter, das wir uns nur vorstellen konnten, selbst für estnische Verhältnisse hat es früh angefangen zu schneien – so hat man es uns zumindest erzählt. Glaubt man verschiedenen Rankings, zählt der Tallinner Weihnachtsmarkt auf dem Rathausplatz zu den schönsten Weihnachtsmärkten Europas. Und man muss schon sagen, besonders abends und in Verbindung mit dem Schnee war er wunderschön. Nachteil des Lobes durch die vielen Reisemagazine: Viele Besucherinnen und Besucher und hohe Preise. Für einen Glühwein zahlt man dann gerne schon mal 7 Euro, Essen gibt es ab 15 Euro – und für Vegetarierinnen und Vegetarier ist die Auswahl leider etwas dürftig. Glücklicherweise kann man in Tallinn aber auch auf kleinere Weihnachtsmärkte ausweichen, die weniger überlaufen und auch günstiger sind. Beliebt sind zudem die vielen Eisbahnen in der Stadt, wer also ein Schlittschuhfan ist, kommt hier definitiv auf seine Kosten.
Im Dezember hat es uns dann auch noch nach Tartu, Estlands zweitgrößte Stadt und diesjährige europäische Kulturhauptstadt, sowie nach Riga verschlagen. Tartu ist mit seinen rund 90.000 Einwohnerinnen und Einwohnern die Studierendenstadt Estlands. Hier steht die älteste Universität des Landes, die fast 15.000 Studierenden prägen das Stadtbild. Von Tallinn aus erreicht man die Stadt in etwas mehr als zwei Stunden mit dem Zug. Auch der Rigaer Weihnachtsmarkt hat es dieses Jahr auf die oberen Plätze des Rankings geschafft, und ich muss zugeben, zurecht. Der Weihnachtsmarkt war zwar etwas kleiner, kann aber mit dem in Tallinn mehr als mithalten und ist zudem deutlich günstiger. Riga erreicht man von Tallinn aus in rund vier Stunden mit dem Bus. Die Hauptstadt Lettlands ist zwar auch eine ehemalige Hansestadt, aber im Gegensatz zu Tallinn für seine Gebäude im Jugendstil bekannt und auf jeden Fall auch einen Besuch wert. Übrigens, noch eine Info für alle, die sich schon mal gefragt haben, was man an Weihnachten traditionell in Estland isst: Blutwurst und Sauerkraut, da waren sich alle einig.
Estnische Sprache und Wintereinbruch
Estnisch – Eine Sprache zwischen vielen ÖÖs’s, ii’s und purer Verzweiflung meinerseits
Kann man einer Sprache einen ganzen Blogeintrag widmen? Ja, kann man, allen voran wenn man über die estnische Sprache schreibt. Auch nach drei Monaten in Estland bin haben sich meine Kenntnisse nicht wirklich verbessert, ich bin immer noch bei den drei bis fünf Worten von Beginn meines Praktikums. Das ist auch eigentlich kein Problem, denn gerade die junge Generation in Estland spricht gutes Englisch und selbst wenn nicht, dank der modernen Technik kann man sich doch immer gut verständigen. Vor einigen Wochen war ich noch ganz motiviert, mir jetzt zumindest ein paar Wörter und Sätze beizubringen. Mein Kollege hat mir dann eine Liste mit allen Vokabeln für das A1-Level zugeschickt und mir ein dickes Wörterbuch auf den Schreibtisch gelegt. Auf meine anfängliche Euphorie ist dann schnell Resignation gefolgt und ich habe mich erstmal für einen Online-Anfängerkurs entschieden, der von der estnischen Regierung angeboten wird. Der Kurs ist für jedermann zugänglich, wer sich also immer schon mal im Estnischen ausprobieren wollte, kann dies über folgenden Link tun: https://www.keeleklikk.ee. Viel Erfolg! Eine kleine Vorwarnung: Es gibt 14 grammatikalische Fälle, dafür aber keine Artikel und auch kein Geschlecht. Für jeden und jede, die jetzt nicht gleich euphorisch das Lernen beginnen möchte, hier die wichtigsten estnischen Wörter für einen Kurztrip nach Estland:
Tere = Hallo
Palun = Bitte
Aitäh = Danke
Jah = Ja
Ei = Nein
Minu nimi on ... = Mein Name ist ...
Terviseks! = Prost!
Vabandust = Entschuldigung
Nägemist (umgangssprachlich) = Auf Wiedersehen
Keine Sprachkenntnisse sollten aber auf jeden Fall niemanden abschrecken, ein Auslandssemester oder auch ein Praktikum in Estland zu machen, Englisch reicht für den Alltag vollkommen aus. Auch wenn es sich bestimmt lohnt, dass ein oder andere Wort Estnisch zu lernen, zumal es eine schöne und sehr melodische Sprache ist.
Wintereinbruch in Estland
Nachdem sich mein letzter Besuch noch „beschwert“ hat, warum noch kein Schnee liegt, haben wir vor etwa einer Woche das erste Mal in dieser Wintersaison richtig viel Schnee bekommen. Estland hat sich in ein kleines Winterwunderland verwandelt. Die Temperaturen liegen bei ungefähr -2 bis -8 Grad, also noch ganz angenehmen und der Schnee gleicht die frühe Dunkelheit aus (ab 15 Uhr wird es gerade schon wieder dunkel). Mein besonderes Schnee-Highlight bis jetzt: Die Fahrt über die verschneite zweitgrößte Insel Estlands, Hiiumaa, dazu Weihnachtslieder, Zimtschnecken und Kaffee. Am Freitag startet dann auch der lang ersehnte Weihnachtsmarkt auf dem Rathausplatz in Tallinn, der zu den schönsten Märkten Europas zählt.
Einblick in den Arbeitsalltag in Tallinn
Kaum zu glauben, aber wahr: Mein Praktikum ist fast schon zur Hälfte rum, höchste Zeit also, aus dem Arbeitsalltag bei der Deutsch-Baltischen Handelskammer zu berichten. Zur Arbeit geht es für uns jeden Morgen mit dem Bus in die Altstadt, wir haben das Glück, direkt an der Stadtmauer und somit direkt am Eingangstor zur Altstadt zu arbeiten. Wie jeden Morgen starten wir mit einer gemeinsamen Besprechungsrunde mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den Tag: Was steht gerade an? Wo kann man unterstützen? Welche Veranstaltungen kommen? Gerade zu Beginn interessant, um erstmal einen Einblick zu bekommen, an was die Kolleginnen und Kollegen arbeiten.
Mit dem ersten Kaffee geht es dann erstmal an den Computer, E-Mails checken und Skype-Nachrichten lesen. Immer auf der Agenda steht die Betreuung der Social-Media-Kanäle, Übersetzungsarbeiten, die Pflege der Website oder der monatliche Newsletter. Als PR-Praktikantin darf ich viele Veranstaltungen vor Ort begleiten, sei es der Tag der offenen Tür, verschiedene Diskussionsrunden rund um E-Mobilität oder Maschinenbau, Delegationstreffen oder Seminare. Lustig ist es natürlich, wenn man dann in einer estnischen Veranstaltung sitzt und bis auf das Wort „Saksamaa“, also „Deutschland“, eine Stunde einfach nur Bahnhof versteht. Ansporn genug, doch mal ein paar Brocken Estnisch zu lernen.
Was stand bis dato noch im Kalender? Gleich zu Beginn meines Praktikums gab es die Saisoneröffnung hier im estnischen Büro, eine Rundfahrt auf dem Segelschiff durch die Tallinner Bucht. Wir duften die Kolleginnen und Kollegen zu Unternehmensbesuchen nach Pärnu begleiten und einen Einblick hinter die Kulissen verschiedener Unternehmen werfen. Das Jahreshighlight konnte ich auch mitnehmen: Das Tallinner Oktoberfest. Ganz im bayerischen Stil wurde mit rund 2.000 Gästen in der größten Arena Estlands gefeiert. Natürlich durfte auch original bayerisches Bier und Essen nicht fehlen, die Band ist extra aus München angereist. Und trotzdem kamen auch die estnischen Einflüsse nicht zu kurz, Lieder gab es auf beiden Sprachen. Letzte Woche hatte ich dann die Möglichkeit, den estnischen Klimaminister beim Business Lunch live zu erleben. Ein spannender Austausch über die derzeitige politische und wirtschaftliche Lage in Estland und ein Einblick in das politische System.
Da wir jetzt mit großen Schritten auf den Jahresendspurt zugehen, wird es natürlich auch hier veranstaltungstechnisch etwas ruhiger. Nichtsdestotrotz steht noch ein Business Lunch und ein Unternehmensbesuch an, bevor das Jahr dann mit der traditionellen Weihnachtsfeier ausklingt.
Erste Arbeitstage im Praktikum
Mein erstes Wochenende in Tallinn ist bei spätsommerlichen Temperaturen viel zu schnell vergangen und hat sich noch ein bisschen wie Urlaub angefühlt. Doch noch bevor ich mich daran hätte gewöhnen können, stand auch schon mein erster Arbeitstag an. Die kommenden Monate werde ich also die Deutsch-Baltische Handelskammer in Tallinn unterstützen, als Praktikantin im PR- und Öffentlichkeitsbereich. Doch was macht die Auslandshandelskammer - kurz AHK - eigentlich? Die AHK in Estland, Lettland und Litauen vertritt, berät und betreut deutsche Unternehmen im Baltikum und unterstützen beim Aufbau von Auslandsgeschäften und -beziehungen. Sie bietet also Marktberatungen an, unterstützt bei der Gründung von Niederlassungen oder bei der Personalvermittlung.
Nach einer Woche Einarbeitung durch meine Vorgängerin und einem Schnelldurchlauf durch alle anfallenden Aufgaben ging es dann auch direkt los, die Saisoneröffnung stand vor der Tür. Gemeinsam mit Mitgliedern der AHK ging es auf einen Segeltörn durch die Tallinner Bucht, Networking stand also auf dem Plan. Als PR-Praktikantin durfte ich das Event auf den Social-Media-Kanälen begleiten. Auch die nächste große Veranstaltung lässt nicht lange auf sich warten: Mitte Oktober steht hier in Tallinn das große Oktoberfest an. Wie genau ein Arbeitstag im Detail abläuft, werde ich euch dann später berichten.
Ganz „alleine“ bin ich übrigens nicht, wir sind zu dritt im estnischen Büro. In den Standorten in Riga und Vilnius gibt es dann auch jeweils drei Praktikant*innen. Das Beste: Teil des Programms der AHK ist ein gegenseitiger Besuch, jeweils geplant von dem Team vor Ort. Das bedeutet, Anfang Oktober werden uns die Praktikant*innen aus Vilnius und Riga in Tallinn besuchen.
Vorbereitung auf das Erasmus+ Praktikum
Packen und Ankunft
Ein Blick in Tallins Wikipediaartikel verrät: Im kühlsten Monat Januar schwankt die Temperatur zwischen -3 bis -8 Grad Celsius. Das bedeutet im Umkehrschluss, man muss beim Packen auf jeden Fall an einige Pullis, Jacken, Socken, Schals, Jacken und Mützen denken. Mitnehmen wollte ich also viel, aber wie sollte das Ganze in zwei Koffer passen? Ein paar Tage vor meinem Abflug habe ich mir also Gedanken gemacht, wie man strategisch am besten packen könnte. Am Ende habe ich mich dazu entschieden, Kleidungsstücke nach ihrer „Zwiebellook-Tauglichkeit“ auszusuchen. Am Flughafen war ich dann genau 600 Gramm unter dem Höchstgewicht. Von Frankfurt aus fliegt man in rund 2,5 Stunden nach Tallinn, wobei ich einen kurzen Zwischenstopp in Riga hatte. Eine Zeitverschiebung gibt es übrigens auch, Estland ist Deutschland eine Stunde voraus.
In Tallinn angekommen habe ich mich direkt mit dem Bus auf den Weg zu meinem Wohnheim gemacht, Tickets für den ÖPNV gibt es am Automaten am Flughafen oder über die App, Tickets für eine Stunde auch direkt in den Bussen. Mit meinem Handy konnte ich auch ganz einfach meine Wohnungs- und Zimmertüre öffnen. Ein nützlicher Tipp: Wenn ihr nach Estland kommen solltet, spart aus Platz- und Gewichtsgründen auf keinen Fall an Drogerieprodukten. Bei meinem ersten Supermarktbesuch war ich verdutz, wie viel diese hier kosten. Für eine Bodylotion von Nivea zahlt man stolze 8,49 Euro, für ein Haarshampoo sogar 8,99 Euro – und es waren wohlgemerkt keine Maxi-Packungen... Ansonsten liegt das Preisniveau in etwa so hoch wie in Deutschland, wobei Milch- und Fleischprodukte etwas günstiger sind.
Meine ersten Tage in Tallinn habe ich dann bei gutem Wetter überwiegend am Meer verbracht, bin durch die Altstadt gelaufen und habe mich mit meinem zukünftigen Mit-Praktikanten getroffen. Fast verzweifelt bin ich zwischendurch an der estnischen Sprache, besonders beim Einkaufen. Leider kann man sich aus dem Geschriebenen wenig bis gar nichts ableiten. Estnisch gehört zu den finnisch-ugrischen Sprachen, ist also mit dem Finnischen verwandet und gilt als schwer zu lernen. In den nächsten Tagen werde ich mich aber trotzdem mal an die estnischen Basics wagen. Eine Übersetzungsapp, am besten mit Liveübersetzung, ist ein Muss auf dem Handy. Viele Estinnen und Esten sprechen zudem Russisch, etwa ein Viertel gehört der russischen Minderheit an. Ich hatte Glück, an meinem ersten Wochenende eine Volkstradition im Ostseeraum miterleben zu können. Einmal im Jahr, in der sogenannten „Nacht der alten Feuer“, werden an den Stränden große Feuer errichtet. Die Feuer sollen an frühere Leuchtfeuer erinnern und dienen heute dazu, positive Gedanken und Botschaften auf das Meer hinauszuschicken. Begleitet werden die Feuer von Konzerten und traditionellen Liedern.
Vorbereitung
Drei Monate vor Beginn des Praktikums habe ich Kontakt mit dem International Office meiner Universität aufgenommen. Bei meiner Universität sollte man spätestens zwei Monate vor Beginn alle Bewerbungsunterlagen für eine Erasmus+ Förderung einreichen. Für das Ausfüllen sollte man etwas Zeit einplanen, insbesondere für das Learning-Agreement, hierfür müsst ihr Unterschriften eurer Universität und eurer Praktikumsstelle einholen. Bei mir war da gerade Urlaubszeit und es hat dementsprechend etwas länger gedauert, bis ich alle Unterschriften zusammen hatte.
Relativ neu ist die Erweiterung der „Zusatzförderung für Studierende mit geringeren Chancen im Erasmus-Programm“, auf die ich eher zufällig gestoßen bin. Hinter dieser etwas sperrigen Formulierung steckt eine Zusatzförderung, deren Zielgruppen 2022 erweitert wurden. Neben Studierenden mit Kindern, einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung können seitdem auch erwerbstätige Studierende und Studierende aus einem nicht-akademischen Elternhaus einen monatlichen Zuschlag von 250 Euro auf die Fördersätze erhalten. Da letzteres auf mich zutrifft, habe ich einen Antrag auf diese Zusatzförderung stellen können. Mit der Förderung soll die Chancengerechtigkeit erhöht werden. Mehr Informationen hierzu findet ihr auf der Website der NA DAAD. Sind alle Unterlagen eingereicht, muss man noch auf die Ausstellung des Grant Agreements warten, dieses unterzeichnen und per Post einreichen.
Wohnungssuche in Tallinn
Nachdem ich Anfang des Jahres für ein halbes Jahr eine Wohnung in Berlin gesucht habe, war ich eigentlich auf alles eingestellt, was die Wohnungssuche in Tallinn betrifft. Von meiner Praktikumsstelle habe ich eine Liste mit Anlaufstellen bekommen, zudem besteht die Möglichkeit, sich je nach Verfügbarkeit für eines der Wohnheime der Universitäten und Hochschulen zu bewerben. Hier gilt es aber zu beachten: In Estland teilt man sich, ähnlich wie in den USA, ein Zimmer mit einer anderen Person. Die Zimmer sind zwar günstig (alle so um die 200-240 Euro), kamen deshalb aber für mich nicht in Frage. Ich habe dann ein privates Wohnheim gefunden, das zwar etwas teurer war, aber dafür werde ich mein eigenes Zimmer haben. Die Zimmer kann man einfach online buchen, auch der Vertrag wird online unterschrieben. Vor einigen Tagen habe ich eine E-Mail von meinem Wohnheim mit dem Zugangsdaten zum Zimmer bekommen. Alles läuft über hier das Smartphone, „normale“ Schlüssel gibt es keine mehr. Wohl ein erster Vorgeschmack auf den digitalen Vorreiter Estland.
Motivation
Wenn mich heute jemand nach meinem Highlight während meines Bachelorstudiums fragen, würde ich, ohne groß nachzudenken direkt antworten: Mein Auslandssemester in Schweden. Zu Beginn meines Masterstudiums kam alles anders als gedacht – Stichwort Corona – und ich entschied mich zunächst gegen ein weiteres Auslandssemester, zu unsicher die Aussichten. Jetzt möchte ich doch noch die Möglichkeit nutzen, während meines Studiums ins Ausland zu gehen. Die Bewerbungsfristen für die Auslandssemester waren da schon rum, also habe ich eine Alternative gesucht – und gefunden: Ein Praktikum im Ausland.
So kann man nicht nur Auslandserfahrung sammeln, sondern auch praktische und in die Arbeitswelt eines anderen Landes eintauchen. Tallinn stand ganz oben auf meiner Wunschliste. Keine 20 Stunden habe ich bis jetzt dort verbracht und trotzdem hat es mir die Stadt in dieser kurzen Zeit angetan, genauso wie Estland.
Gerade aus Deutschland blickt man ja etwas neidisch auf Estland, das uns in Sachen e-Government, Start-Up-Szene oder Digitalisierung einiges voraus ist. Wusstet ihr zum Beispiel, dass der Zugang zum Internet in Estland ein Grundrecht ist? Über die Praktikumsbörse des International Office meiner Universität habe ich dann das Praktikum an der Deutsch-Baltischen Handelskammer im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gefunden – es lohnt sich also, hier immer mal wieder auf solchen Seiten der Universitäten vorbeizuschauen. Nachdem ich mich Ende November 2022 beworben habe, wurde ich zu einem einstündigen Vorstellungsgespräch eingeladen. Mitte Dezember 2022 kam dann die Zusage und ich habe meinen Praktikumsvertrag unterschrieben.