Nicole Broer
Lehrerin und Europakoordinatorin
Infos zum Erasmus-Aufenthalt
Dank Erasmus fühle ich mich heute als wahre Europäerin. Ich fühle mich in ganz Europa zu Hause – nämlich da, wo mein Herz schlägt.
Was heißt für Sie Europa?
Europa bedeutet für mich interkulturelle Vielfalt, Ideenschmiede, Inspiration und Sicherheit.
Hat sich Ihr Blick auf Deutschland/Europa durch Ihren Erasmus-Aufenthalt verändert?
Der Blick hat sich tatsächlich verändert. Ich sehe die EU mittlerweile als elementaren Baustein zur Wahrung des Friedens auf unserem Kontinent, als Bereicherung und Inspiration für neue Arbeits- und Lebensweisen. Deutschland sehe ich als Gemeinschaft in einem Staatenbund und nicht mehr so isoliert als einzelnes Land wie früher.
Wenn Studierende noch unentschlossen sind, ob sie einen Erasmus-Aufenthalt machen sollen, was würden Sie ihnen raten?
Unbedingt machen und nicht allzu viel über die möglichen Risiken nachdenken. Selbst wenn mal etwas nicht so läuft, wie man es sich vorgestellt hat, profitiert man letzten Endes davon und man lernt, flexibel mit neuen Gegebenheiten umzugehen.
Wie haben Sie sich verständigt? Konnten Sie auch die Landessprache erlernen?
Da mein Auslandssemester in England stattgefunden hat, war die Kommunikationssprache Englisch. Das Studium war ebenfalls in Englisch. Innerhalb der deutschen Gruppe haben wir uns auch auf Deutsch verständigt, zeitweise habe ich auch Französisch oder Italienisch gesprochen, je nachdem, mit wem ich in den Arbeitsgruppen zusammengearbeitet habe.
Was hat Sie damals motiviert, ins Ausland zu gehen, und was haben Sie von dem Erasmus-Aufenthalt mitgenommen?
Mein erster Auslandsaufenthalt war in Monaco, als ich mich nach dem Abitur bei einer Organisation für eine Au-Pair-Stelle beworben hatte. Ich hatte mich für Frankreich als Zielland entschieden, weil ich die Sprache gerne besser sprechen wollte und ich Englisch schon einigermaßen gut beherrschte. Ich wollte selbstständig werden, mich von zu Hause lösen und die Welt entdecken, war neugierig auf andere Kulturen. Die Entscheidung nach Frankreich zu gehen, habe ich auch deshalb getroffen, weil es nicht ganz so weit von zu Hause entfernt war und ich so jederzeit die Möglichkeit gehabt hätte, wieder nach Hause zu fahren, sollte es mir nicht gefallen. Die positiven Erfahrungen aus dem Jahr in Monaco haben mich schließlich bestärkt, auch während meines Studiums ins Ausland zu gehen, und so habe ich ein Studium gewählt, bei dem das möglich war. Was habe ich von den Auslandsaufenthalten für mein Leben mitgenommen? Selbstständigkeit sowie die Flexibilität mit schwierigen Situationen umgehen zu können und diese für mich selbst zu regeln. Das hat mich für mein Leben geprägt und stark gemacht.
Was war für Sie zu Beginn die größte Herausforderung während Ihres Erasmus-Aufenthalts?
Die größte Herausforderung war, zu Beginn eine geeignete Unterkunft zu finden. Schließlich hatte ich vorher konkrete Vorstellungen und ich wollte auf keinen Fall eine Unterkunft mit ausschließlich deutschen Studierenden bewohnen, wollte ich doch möglichst viel Kontakt zu Einheimischen haben. Letzen Endes hatte ich Glück und habe es gut angetroffen.
Gab es Faktoren, die Ihnen ein Gefühl von „Zugehörigkeit“ und Integration gegeben haben oder fühlten Sie sich überwiegend fremd?
Ich habe mich in England nach einem Student House umgeschaut, in dem vorwiegend englische Studierende wohnten. Ich wollte möglichst direkten Kontakt mit der englischen Kultur bekommen und so viel Englisch sprechen wie möglich. Das verschafft auch viel eher ein Gefühl der Dazugehörigkeit. Mein Tipp für Studierende ist, das Gleiche zu tun. Kontakt zu Gleichgesinnten aus dem eigenen Land ist sicher auch wichtig, um die ersten Hürden gemeinsam zu meistern, aber dann sollte man möglichst den Kontakt zu Einheimischen suchen.
Welche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede konnten Sie in Studium, Alltag und Kultur zwischen Ihrem Zielland und Deutschland feststellen?
Das Studium in England war deutlich verschulter, als ich es von Deutschland her kannte. Wir bekamen gleich zu Beginn einen festen Stundenplan an die Hand und mussten permanent Prüfungsleistungen erbringen. Die Leistungen als solche waren weniger anspruchsvoll, dafür mussten aber deutlich mehr Leistungen erbracht werden als in Deutschland. Die Lerngruppen waren kleiner und die Professoren kannten jeden Studierenden mit Namen, was mir gut gefallen hat. Unterschiede lagen auch in der Kultur: Wenn man in England durch einen Flur lief und in circa 50 Metern Entfernung jemand durch eine Tür ging, wartete die Person so lange und hielt einem die Tür auf – unabhängig davon ob männlich oder weiblich. Insgesamt habe ich die Engländer als sehr höflich wahrgenommen.
Wie behalten Sie die Zeit in Erinnerung?
Als sehr positiv. Auch wenn ich manche Tiefen erlebt habe und es mir zeitweise auch mal nicht so gut damit ging, habe ich letzten Endes immer eine Lösung gefunden. Das hat mich stolz gemacht und mich für mein weiteres Leben und meine berufliche Tätigkeit sehr gut gerüstet. Ohne diese Erfahrungen würde ich heute wahrscheinlich nicht mit einem so großen Engagement Europa- und Erasmus-Projekte koordinieren, bliebe ich nicht so hartnäckig am Ball, weil ich weiß, es lohnt sich!
Wie hat die Anerkennung der Studienleistungen nach Ihrem Erasmus-Aufenthalt funktioniert?
Die Anerkennung war problemlos, da der Auslandsaufenthalt integrativer Bestandteil des Studiums war. Ich konnte so wesentliche Prüfungsleistungen in Betriebswirtschaftslehre absolvieren, die mir dann später in Deutschland problemlos anerkannt wurden. Auch waren die Fächer und Themen schwerpunktmäßig auf Europa und Europapolitik ausgerichtet, das fand ich spannend. Das war ein großer Vorteil gegenüber einem herkömmlichen Studium in Deutschland.
Hat Erasmus Sie dazu bewogen, einen weiteren Auslandsaufenthalt in Studium und / oder Beruf zu unternehmen? Falls ja, skizzieren Sie uns diese Stationen?
Ich habe nach meinem Aufenthalt in Nottingham noch ein weiteres Auslandssemester in Paris absolviert. Dort habe ich bei einem italienischen Konzern ein Praktikum in der Exportabteilung gemacht. Dadurch konnte ich nicht nur die Arbeitsabläufe in einem Betrieb kennenlernen, sondern auch meine mündlichen und schriftlichen Kompetenzen in Französisch verbessern. Diese Aufenthalte haben mich schließlich dazu bewogen, während meiner später anschließenden Lehrertätigkeit an einem Berufskolleg Europa-Projekte anzustoßen und zu koordinieren, was ich bis heute tue. Mittlerweile bin ich als Erasmus- und eTwinning-Moderatorin für die Landesregierung NRW bzw. den Pädagogischen Austauschdienst tätig und bilde andere Lehrerinnen und Lehrer in Sachen Europa fort.
Was bedeutet Europa für Sie privat? Und was bedeutet es für Sie beruflich?
Europa bedeutet mir sehr viel, sowohl privat als auch beruflich, und mittlerweile sind diese beiden Bereiche gar nicht mehr voneinander zu trennen. Durch meine zahlreichen Erasmus-Aktivitäten, insbesondere in den letzten Jahren an meiner Schule, habe ich viele Freundschaften in ganz Europa geschlossen, habe ich wieder Lust bekommen, eine neue Sprache zu lernen. Außerdem habe ich unzählige Schülerinnen und Schüler ins Ausland begleitet und konnte beobachten, wie sie zunehmend ihre Scheu abgelegt haben, mit Schülerinnen und Schülern aus anderen europäischen Ländern zusammenzuarbeiten und in der Fremdsprache zu kommunizieren. Wenn ein Schüler während einer solchen Reise zu mir kommt und mir sagt: „Frau Broer, ich war noch nie so glücklich in meinem Leben, wie heute.“, dann denke ich, ganz vieles richtig gemacht zu haben – und das macht mich tatsächlich ein bisschen stolz.
Wie hat Erasmus Ihre berufliche Laufbahn beeinflusst?
Erasmus hat mich sehr geprägt und so konnte ich nicht nur während meines Studiums in Nottingham, sondern auch während des sich anschließenden einsemestrigen Praktikums in Paris viele wertvolle Erfahrungen sammeln. Die Auslandsaufenthalte haben mich so inspiriert, dass ich heute im Rahmen meiner Lehrertätigkeit als Europa-Koordinatorin an einem kaufmännischen Berufskolleg tätig bin und sämtliche Europa-Projekte an unserer Schule koordiniere. Die Erfahrungen, die ich selbst sammeln durfte, möchte ich an möglichst viele Schülerinnen und Schüler weitergeben. Vielleicht springt dadurch auch bei ihnen der Europa-Funke über. Angefangen von meinem Au-pair-Aufenthalt in Monaco vor gut 30 Jahren bis zu den vielen Erasmus-Projekten, die ich heute organisiere, spannt sich Erasmus für mich wie ein roter Faden durch mein berufliches, aber auch privates Leben. Möge er niemals zerreißen.
Ein kleiner Ausblick, wo sehen Sie sich in der Zukunft?
Ich sehe mich in Zukunft mit noch vielen weiteren Schülerinnen und Schülern ins europäische Ausland fahren; sehe mich, wie ich immer wieder neue Kulturen entdecke und neue Sprachen dazulerne. Ich sehe mich an vielen Tischen Europas zu Abend essen; sehe mich eintauchen in die spannende Welt der anderen Kulturen, und werde erneut feststellen, dass wir Menschen doch viel mehr gemeinsam haben, als wir manchmal denken.